Die öffentlich-rechtlichen Sender planen, einen gemeinsamen Jugendkanal zu starten. Doch die Sehgewohnten der Zielgruppe werden damit ignoriert.
Vor ein paar Monaten stand ich an einer Berliner Bushaltestelle, als neben mir der Traum öffentlich-rechtlicher Fernsehmanager wahr wurde: Vier oder fünf Teenager standen um ein Smartphone versammelt und schauten sich gebührenfinanziertes Qualitätsfernsehen an: Loriots Nudelsketch. Nun ist es statistisch völlig nichtssagend, was ich in meiner Freizeit an Bushaltestellen beobachte, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Jugendlichen statt Loriot einen Clip aus einer deutlich jüngeren öffentlich-rechtlichen Produktion wie etwa „Bambule“, „Roche & Böhmermann“ oder „neoParadise“ – wovon die letzten beiden inzwischen auch schon nicht mehr laufen – geschaut hätten, wäre ungleich größer gewesen.
Trotzdem wurde dort etwas deutlich, was jeder Rundfunkmanager weiß, was aber in der aktuellen Debatte über digitale Jugendkanäle von ARD und ZDF trotzdem ignoriert wird: Kluge Inhalte werden immer weniger linear konsumiert. Also nicht mehr zu einer festen Zeit auf einem festen Kanal, sondern frei abrufbar über das Internet.
Eigentlich bin ich genau derjenige, den sich ARD und ZDF wünschen: Mit 30 Jahren noch jung genug, um den Senderschnitt ordentlich nach unten zu drücken, und gewillt, für schlaues Programm Geld zu bezahlen. Und trotzdem: Wenn ich heute ZDFneo oder Einsfestival einschalte, dann fühle ich mich meistens so, wie sich auch Evelyn Hamanns Hildegard angesichts ihres nudelbeschmutzten Verehrers gefühlt haben muss: Ich weiß, der andere gibt sich richtig Mühe, er ist ein netter Typ, und wenn ich ihm dabei zusehe, wie er sich reckt und streckt, um es mir recht zu machen, dann drücke ich ihm dabei fest die Daumen. Aber zum Schluss ziehe ich doch lieber alleine weiter.
Die Diskrepanz zwischen der positiven Wahrnehmung vor allem der ZDF-Sender und ihrer kaum vorhandenen Bedeutung für die Jugend liegt vor allem darin begründet, dass ZDFneo und ZDFkultur zwar die Sender sind, die man sich immer gewünscht hat – nur leider nicht gestern, sondern vor 15 Jahren. Was wäre es Anfang der nuller Jahre, als das ZDF die „Sopranos“ tief in der Nacht im Hauptprogramm versenkt hatte, für ein Fest gewesen, ZDFneo zu haben! Heute dagegen schaut man „Mad Men“ entweder auf DVD oder lädt es sich runter.
Die Wahrheit ist: Niemand wartet auf einen neuen oder umgebauten Jugendkanal. Und warum auch? Lineares Fernsehen gibt es genug, in beliebiger Qualität und für jede Nische. Glaubt tatsächlich irgendjemand, dass es in meiner Generation ein zu knappes Angebot an Möglichkeiten gäbe, sich bedudeln zu lassen? Online dagegen ist eine gute Sendung nicht 30 Kanäle weiter hinten zu finden, sondern im Zweifel nur eine Facebook-Empfehlung weit entfernt. Schon „neoParadise“ oder „Roche & Böhmermann“ haben über ihre Online-Auswertung eine größere Wirkung erzielt als über ihre lineare Ausstrahlung. Warum also nicht aufhören, gleich ganze Sender aus dem Boden zu stampfen, wenn man ein Jugendprogramm heute auch als Plattform oder Marke denken kann, die dann konsequent auf nichtlineare Verbreitungswege setzt? ZDFneo kann dann wie ein gut geführter Verlag funktionieren, der ja auch nicht jeden Tag ein Buch raushaut, damit die Leser beschäftigt sind, sondern nur ein paar Mal im Jahr eine kleine, schlaue Auswahl präsentiert. Ob über die Mediathek, Youtube, bei iTunes oder Amazon – am besten überall. Wenn schon kaum Geld da ist, warum dann nicht weniger senden, aber besser? Rechtliche Hürden dabei können durchaus überwunden werden: Wenn schon die Politik den gemeinsamen Jugendsender fordert, kann sie die Weichen auch in andere Richtungen stellen.
Man kann viel diskutieren über Inhalte, Sehgewohnheiten, Quoten und junge Menschen. Aber es gibt eine Zahl, die das Scheitern aller bisherigen Versuche besser auf den Punkt bringt als jedes andere Argument. Es ist das Durchschnittsalter des ZDFneo-Zuschauers nach bald dreieinhalb Jahren Sendebetrieb. Es beträgt 51 Jahre.
(Artikel zuerst veröffentlicht am 21. April 2013 im Tagesspiegel)