Der wahrscheinlich größte Unterschied zwischen literarischem Schreiben und Drehbuchschreiben ist der größere Zwang zu technischen Überlegungen, die ein Drehbuch mit sich bringt. In einem Roman hat man Zeit für alles, für jede Beschreibung und jeden interessanten Umweg, in einer Serie oder einem Film dagegen ist man immer den Zwängen der Form und sogar des Herstellungsprozesses unterworfen. Ein gutes Drehbuch erzählt effizient: so viel wie möglich mit so wenig Aufwand wie möglich. Das berühmte “Show, don’t tell” meint genau diese Effizienz: keine Figur muss sagen, dass sie gerade schwer gestresst ist, kaum geschlafen hat und eine schwierige Zeit durchmacht, wenn sie auch verstrubbelt, mit auf links gedrehtem Pullover und riesigem Kaffeebecher zu spät in die Szene stolpern kann.
Bei einem etwas zu langen Ausflug in die Tiefen von Retro-TV-Vorspännen auf YouTube habe ich vor kurzem den Vorspann von ALF wiederentdeckt – und eventuell zum ersten Mal mit erwachsenen Augen gesehen. Dabei ist mir aufgefallen, was für ein brillantes Beispiel für effizientes Erzählen dieses Intro ist: auf den ersten Blick cheesy und natürlich mit der 90er-Jahre-typischen, heute nur noch ironisch herstellbaren Synthie-Musik unterlegt, ist der ALF-Vorspann auf den zweiten Blick ein super smart konstruiertes Erzählvehikel. Die Camcorder-Subjektive von ALF lässt uns nicht nur physisch seine Sicht auf die Welt nachvollziehen, sondern etabliert gleichzeitig auch seinen Charakter: ALF ist frech – das realisieren wir im Badezimmer – verfressen – das zeigt uns der verbotene Griff nach dem Kuchen – ALF ist aber auch ein guter Freund, schließlich wird er von Brian, dem jungen Sohn der Familie (und einzigem Menschen mit ähnlicher Körpergröße) sofort umarmt. Und: Alf ist fester Bestandteil der Familie – das beweist uns das Schlussbild.
Und als wenn das nicht schon effizient genug wäre, führt der Vorspann quasi im Vorbeigehen auch noch den Rest der Familie ein: Willie als typischen Dad, der sich eine halbe Sekunde lang über die Aufmerksamkeit der Kamera freut, dann aber doch nicht anders kann, als zum Mansplainen korrekterer Filmtechnik anzusetzen; Kate als vermeintlich strenge, aber doch irgendwie für amouröse Jungsphantasien taugende Suburbia-Hausfrau, die von ALF beim Duschen überrascht wird; Lynn als Teenager-Mädchen, das sich zum ständigen Mit-den-Freundinnen-Telefonieren im Schrank versteckt; und Brian, der junge Sohn, für den ALF nicht weniger als ein Bruderersatz zu sein scheint. Selbst ALFs kulinarische Leidenschaft für Katzen wird angedeutet: Hauskatze Lucky ist das einzige Lebewesen im Vorspann, für das ALF seine Kamera sofort ablegt – um ihr hinterher zu jagen.
Der ALF-Vorspann ist auch deshalb so verblüffend, weil er ein so einsames Beispiel seiner Zeit für einen herausragenden Vorspann ist. Während sich bei den meisten anderen Serien dieser Zeit (und bei deutschen Vorabendserien noch heute) einfach nur die Hauptfiguren zu schmissiger Musik in die Kamera drehen und wahlweise lustig gucken oder nett lächeln, erschafft das ALF-Intro eine Erzählsituation, die gleichzeitig universell und persönlich ist – und in einer elektronisierten Welt so zeitlos, dass sie heute noch exakt genauso funktionieren würde, nur dass die Kamera inzwischen in einem Smartphone säße.
P.S.: Ein lustige Fußnote ist dieser Vorspann der ZDF-Serie “Unser Charly”, den man je nach Laune als nette Hommage oder schlechte Kopie des ALF-Intros lesen kann.
Ganz großes Kino ist auch, dass er mit der Aufnahme bereits beginnt, während der Objektivdeckel noch auf der Kamera ist: Vorhang auf! Aus heutiger Sicht frage ich mich, wie sie das mit dem Hauchen auf die Kameralinse in der Schlusseinstellung getrickst haben, denn das wird durch den Anzug hindurch kaum gegangen sein.
Bei „Charly“ hingegen fluktuiert seine Körpergröße ein bisschen zu sehr, wenn man von der einen Leitereinstellung absieht. Aber im Behandlungszimmer trägt er die Kamera wohl auf dem Kopf, nur würde der Arzt dann nicht unter die Kamera gucken? Solcherlei Lieblosigkeiten umschifft ALF gekonnt, sogar mit der „Videoleuchte“, die Lynn blendet. Das ist echte Liebe zum Detail.
Ein 80er Vorspann, den ich sehr liebe ist der von ROSEANNE, ein Oner, der klar stellt, dass sich hier alles um diese Familie dreht, und es dabei ebenfalls schafft, alle Figuren einzuführen (und über die Jahre schön aktualisiert, wenn man es schafft die irritierenden Resultate diverser Schönheitsoperartionen auszublenden): https://www.youtube.com/watch?v=iSE51IAUZ3M
Kuriosum am Rande: die eingedeutschte Titelmusik von HILFE, WIR WERDEN ERWACHSEN finde ich – abgesehen von dem fürchterlichen Kaffee-Werbungs-Vibe – berührender, als das Original (der “übersetzte” Text betont auch sehr clever die Familie, nicht das Elternpaar): https://www.youtube.com/watch?v=4t-azSyFFig Außerdem kommt man ohne das „Schalalala“ am Ende aus: https://www.youtube.com/watch?v=GPRdtO6UKD0
Ganz vergessen: der ALF Vorspann ist, wenn mich nicht alles täuscht (wie auch der von ROSEANNE) extra als solcher konzipiert und gedreht worden, greift also nicht nur mehr oder weniger gelungen auf Szenen aus der ersten Staffel zurück. Gibt nicht so viele Serien, die sich das damals schon geleistet haben. THE WONDER YEARS fällt mir noch ein: https://www.youtube.com/watch?v=-Ob59hsRaFU
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