Das Branchenmagazin DWDL kürt jedes Jahr im Dezember seine “Bildschirmhelden” und dieses Jahr habe ich die Ehre, einer zu sein:
Fünf Jahre lang hörte man nicht viel von Stefan Stuckmann. Und dann das: Im September startet „Jugend – es ist kompliziert“ bei ZDFneo, im November folgte „Die StiNos“ für Joyn. Zwei Comedy-Projekte aus der Feder von Stefan Stuckmann, beide durch seine klare Handschrift sehenswert und produziert von SKP Entertainment, hinter der neben Stuckmann noch Alexander Keil als Managing Director und Producer agiert. Eine bemerkenswerte Keimzelle der Kreativität, aus der sich Stefan Stuckmann dorthin vorwagt, wo es weh tun kann.
Thomas Lückerath und seine Kolleg*innen bei DWDL machen ohnehin vieles richtig, aber am meisten zeichnet sie aus, dass sie eine ehrliche Euphorie für Fernsehen mitbringen. Thomas hat als einer der wenigen sofort verstanden, was wir mit “Jugend” vorhatten – und viel brancheninterne Aufmerksamkeit auf uns gelenkt, die uns sehr geholfen hat.
Ich war bei Patrick Wellinski in der Sendung “Vollbild” auf Deutschlandfunk Kultur zu Gast und durfte sehr ausführlich über die Arbeit an “Die StiNos” erzählen. “Vollbild” ist ein Schatz und eine Ausnahme in der aktuellen Zeit – das letzte echte Magazin für Film- und Serienkritik nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern in der kompletten deutschen TV- und Radiolandschaft. So viel Zeit für eine Serie nimmt sich fast niemand – und so tief schürft deshalb auch kaum noch jemand.
Vor zweieinhalb Jahren haben Alexander Keil und ich unserer Firma SKP gegründet – “Die StiNos” sind das erste Projekt, das wir selbst auf die Beine gestellt haben. Die Serie ist eine Lizenz der sehr erfolgreichen und sehr guten spanischen Comedy “Poquita Fe” von Pepón Montero und Juan Maidagán. Ähnlich wie bei “Jugend” fand ich spannend, dass das hier in der modernen Streamingzeit beinahe eine Art Anti-Serie ist. Die Prämisse ist die kleinstmögliche: Da sind zwei Menschen – und plötzlich ist einer nicht mehr glücklich. Schwer zu pitchen, aber unfassbar ergiebig, weil sie nicht nur großen erzählerischen Freiraum bietet, sondern auch eine Wahrhaftigkeit erlaubt, die in vielen steilen, marketinggetriebenen Stoffen nicht zu finden ist, die ihre Geschichten zu weit entfernt vom Alltag der Menschen suchen.
“Die StiNos” habe ich als Showrunner und Autor betreut, außerdem hab ich bei allen Interviews Regie geführt.
Alle 8 Folgen der ersten Staffel sind bei joyn zu sehen – sogar kostenlos und ohne Account, wenn man die Werbung akzeptiert.
Man muss es dem ZDF hoch anrechnen, dass es sich dieses Projekt getraut hat, denn “Jugend” ist in der modernen Streamingzeit quasi die Anti-Serie: eine klassische Sitcom, die den Studiolook nicht versteckt, sondern umarmt, und die fast ganz ohne horizontalen Erzählbogen auskommt. Wo alle anderen nach der spitzesten Prämisse und der reichsten Bilderwelt suchen, geht “Jugend” bewusst in die andere Richtung und hat fast gar keine Prämisse. Außer: vier Leute, die ihren Kram nicht auf die Reihe kriegen. Und dann passiert das Leben.
Was nach Beschränkung klingt, ist in Wahrheit eine Befreiung, denn die klassische Sitcom-Struktur ist nach wie vor das flexibelste Erzählvehikel überhaupt. Wie mit dem Hubschrauber kann man jede Folge aufs Neue in genau der sozialen Situation landen, die man erzählen will. Interessante Konflikte, neue Figuren, ein bestimmter Beziehungsstatus – eine Sitcom kann all diese Dinge einfach setzen, ohne Rücksicht auf einen großen Staffelbogen. In der ersten Phase des Streamingbooms wurde oft “Game of Thrones” genannt als das beste Beispiel für das große, epische Erzählen, dass Serien möglich machen. Ich denke bis heute: Die größte Geschichte, die je im Fernsehen erzählt wurde, ist “Seinfeld”.
Ich habe “Jugend” als Showrunner und Autor betreut und die Sendung gemeinsam umgesetzt mit den Regisseur*innen Simon Ostermann und Hannah Dörr, die beide maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis hatten. Ich habe auch selbst bei zwei Folgen Regie geführt. “Jugend” ist außerdem die erste Produktion, an der Alexander Keil und ich mit unserer SKP GmbH als Produzenten beteiligt waren.
Christine Watty und Emily Thomey machen einmal die Woche den sehr hörenswerten Podcast “Lakonisch Elegant” für Deutschlandfunk Kultur. Diese Woche ging es um den Streik der Drehbuchautor*innen in den USA und ich war zusammen mit Pola Beck zu Gast, um über die alte Frage zu diskutieren, warum es eigentlich so oft Streit gibt über den Wert eines Drehbuchs.
Weil ich zur Aufzeichnung nicht in Berlin sein konnte, durfte ich mich aus dem Kölner Funkhaus des WDR zuschalten lassen, das ein super Beispiel ist für die immer wieder großartige Nachkriegsarchitektur, die man in Köln finden kann, wenn man nur weiß, wo man hinschauen muss.
Der wahrscheinlich größte Unterschied zwischen literarischem Schreiben und Drehbuchschreiben ist der größere Zwang zu technischen Überlegungen, die ein Drehbuch mit sich bringt. In einem Roman hat man Zeit für alles, für jede Beschreibung und jeden interessanten Umweg, in einer Serie oder einem Film dagegen ist man immer den Zwängen der Form und sogar des Herstellungsprozesses unterworfen. Ein gutes Drehbuch erzählt effizient: so viel wie möglich mit so wenig Aufwand wie möglich. Das berühmte “Show, don’t tell” meint genau diese Effizienz: keine Figur muss sagen, dass sie gerade schwer gestresst ist, kaum geschlafen hat und eine schwierige Zeit durchmacht, wenn sie auch verstrubbelt, mit auf links gedrehtem Pullover und riesigem Kaffeebecher zu spät in die Szene stolpern kann.
Bei einem etwas zu langen Ausflug in die Tiefen von Retro-TV-Vorspännen auf YouTube habe ich vor kurzem den Vorspann von ALF wiederentdeckt – und eventuell zum ersten Mal mit erwachsenen Augen gesehen. Dabei ist mir aufgefallen, was für ein brillantes Beispiel für effizientes Erzählen dieses Intro ist: auf den ersten Blick cheesy und natürlich mit der 90er-Jahre-typischen, heute nur noch ironisch herstellbaren Synthie-Musik unterlegt, ist der ALF-Vorspann auf den zweiten Blick ein super smart konstruiertes Erzählvehikel. Die Camcorder-Subjektive von ALF lässt uns nicht nur physisch seine Sicht auf die Welt nachvollziehen, sondern etabliert gleichzeitig auch seinen Charakter: ALF ist frech – das realisieren wir im Badezimmer – verfressen – das zeigt uns der verbotene Griff nach dem Kuchen – ALF ist aber auch ein guter Freund, schließlich wird er von Brian, dem jungen Sohn der Familie (und einzigem Menschen mit ähnlicher Körpergröße) sofort umarmt. Und: Alf ist fester Bestandteil der Familie – das beweist uns das Schlussbild.
Und als wenn das nicht schon effizient genug wäre, führt der Vorspann quasi im Vorbeigehen auch noch den Rest der Familie ein: Willie als typischen Dad, der sich eine halbe Sekunde lang über die Aufmerksamkeit der Kamera freut, dann aber doch nicht anders kann, als zum Mansplainen korrekterer Filmtechnik anzusetzen; Kate als vermeintlich strenge, aber doch irgendwie für amouröse Jungsphantasien taugende Suburbia-Hausfrau, die von ALF beim Duschen überrascht wird; Lynn als Teenager-Mädchen, das sich zum ständigen Mit-den-Freundinnen-Telefonieren im Schrank versteckt; und Brian, der junge Sohn, für den ALF nicht weniger als ein Bruderersatz zu sein scheint. Selbst ALFs kulinarische Leidenschaft für Katzen wird angedeutet: Hauskatze Lucky ist das einzige Lebewesen im Vorspann, für das ALF seine Kamera sofort ablegt – um ihr hinterher zu jagen.
Der ALF-Vorspann ist auch deshalb so verblüffend, weil er ein so einsames Beispiel seiner Zeit für einen herausragenden Vorspann ist. Während sich bei den meisten anderen Serien dieser Zeit (und bei deutschen Vorabendserien noch heute) einfach nur die Hauptfiguren zu schmissiger Musik in die Kamera drehen und wahlweise lustig gucken oder nett lächeln, erschafft das ALF-Intro eine Erzählsituation, die gleichzeitig universell und persönlich ist – und in einer elektronisierten Welt so zeitlos, dass sie heute noch exakt genauso funktionieren würde, nur dass die Kamera inzwischen in einem Smartphone säße.
P.S.: Ein lustige Fußnote ist dieser Vorspann der ZDF-Serie “Unser Charly”, den man je nach Laune als nette Hommage oder schlechte Kopie des ALF-Intros lesen kann.
Für und mit dem tollen Till Reiners habe ich in diesem Jahr fünf Erklärstücke geschrieben, jeweils zu einem Thema, das uns und der Redaktion wichtig war. Dieses hier liegt mir besonders am Herzen und verdient einen zweiten Blick, weil es dem immer passiveren Verständnis von Politik, das gerade die politische Comedy in den letzten zehn Jahren befeuert hat, sehr kritisch entgegentritt.
Neulich ist mir eingefallen, dass ich die Verlagsrechte für die Drehbücher der ersten Staffel “Eichwald, MdB” besitze – und auch nur für die erste Staffel, aus ZDF-bürokratischen Gründen. Ich habe die Rechte damals eher aus symbolischen Gründen bekommen – selbst bei erfolgreichen Serien sind sie wenig wert, weil sie sich nur auf die Möglichkeit beziehen, die Drehbücher noch mal irgendwann separat zu verlegen. Ein sehr, sehr kleiner Markt.
Aber: weil das Feld der deutschen Comedyserie nach wie vor überschaubar ist und es wenig Anschauungsmaterial darüber gibt, “wie Serien gemacht werden”, sitzen irgendwo vielleicht drei oder vier angehende Autor*innen rum, die sich genau über diese Drehbücher freuen würden. Ich habe die Skripte deshalb hier auf meinem Server abgelegt, zum kostenlosen Runterladen. Und – weil das am spannendsten ist – nicht nur in der Drehfassung, sondern auch in der ungelenken und rohen 1. Fassung.
Ich habe extra in die 1. Fassungen nicht mehr reingeschaut, weil bestimmt irgendwo etwas steht, das mich schlecht aussehen lässt und später zurecht rausgeflogen ist. Aber genau das hätte ich als junger Autor interessant gefunden: zu sehen, wie Dinge anfangen.